Archiv 1970-1980

Der Südbahnhof war lange Jahre ein wichtiger Treffpunkt von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Wien. Dort konnte man sich nach getaner Arbeit oder am Wochenende mit den Landsleuten treffen, Informationen austauschen,
von den neu Angekommenen Neuigkeiten aus der Heimat erfahren oder mit jenen, die wegfuhren, Päckchen oder Geld für die Daheimgebliebenen mitschicken. Es gab eine Reihe von weiteren
informellen Treffpunkten, meistens in öffentlichen Räumen. Später kamen auch noch Cafes hinzu.
Mit der Zeit spürte man aber das Bedürfnis, diese informellen Treffpunkte durch selbstorganisierte Vereine und Clublokale zu ersetzen. Und so kam es, dass im Jahre 1970 der erste jugoslawische Verein, IKMJ, Internacionalni klub mladih Jugoslovena (Internationaler Verein junger
Jugoslawen) gegründet wurde.

Unmittelbar darauf wurden die Vereine „Jedinstvo“, „Požarevac“ und „Sloga“ ins Leben gerufen. Der Verein „Jedinstvo“ ist bis heute aktiv und Mitglied des Dachverbandes für serbische Verein ein Wien.
Wenn heute unter den einstigen Aktivisten die Erinnerungen an die Aktivitäten im fernen Jahr 1970 wachgerufen werden, so bestätigen alle einhellig, dass sich in jener Pionierzeit zwei Aktivisten besonders hervorgetan haben: Bratoljub Ćuk und Vladimir Zabukovac.

Der Sport war die Aktivität Nummer eins. Besonders hervorgetan haben sich die Aktivisten des Vereins „Požarevac“. Zu dessen Gründern zählten Dragoslav Milivojević-Dragi, Mita Živanović, Radiša Filipović, Miodrag Životić, Slobodan Kojić, Novica Stojanović und Miroslav Đorđević.

 

 

Die Wegbereiter des Vereins „Jedinstvo“ waren vor allem Momčilo Mirković, Novak Gavrić und Momčilo Domanović.
Besondere Verdienste um die Gründung und die ersten Erfolge des Vereins „Sloga“ haben sich vor allem Đorđević-Beli, Razinac, Jajić und Pejčinoski erworben.

Mit der Zeit wurden die gemeinsamen Aktivitäten und Projekte zunehmend koordiniert und bereits 1972 stand das Gerüst einer jugoslawischen Fußballliga in Wien. Führende Vereinsvertreter trafen sich einmal in der Woche im Verein „Jedinstvo“, wo künftige Abläufe und Vorhaben besprochen wurden. Außerdem war man bemüht, die Qualität des gemeinsamen Vorgehens zu verbessern.
Im Jahre 1973 wurde das Spielreglement für die Fußballiga ausgearbeitet und beschlossen, womit die Jugo-Liga auch formell, als der wichtigste Fixpunkt in dem Jahr, ins Leben gerufen wurde.
Die Spiele fanden nach einem bestimmten Plan auf den dafür vorgesehenen Spielplätzen statt. Auch die Schiedsrichter mussten entsprechende Befähigungen nachweisen.
1974 wurde eine Kegelliga gegründet, die Mannschaften der ersten Stunde waren „Cetinjka“, „Hajduk“ und „Jedinstvo“. Die Wettbewerbe fanden in einem Gasthaus in Strebersdorf, am Stadtrand von Wien, statt, wo es auch passende Kegelbahnen gab.
Damit mehr Menschen über die sportlichen Aktivitäten erfahren konnten, wurde von der Jugoslawischen Fußballliga ein wöchentlich erscheinendes Infoblatt herausgegeben, der Redakteur war Mirko Kekić.

Im Vordergrund der Vereinsaktivtäten stand der Sport, aber mit der Zeit gab es in den Vereinen immer mehr Angebote im kulturellen Bereich, wie Musik, Poesie und diverse Formen der Unterhaltung.

 

Zahlreiche nationale und internationale Feiertage boten den Anlass für entsprechende
Feierlichkeiten, wie: Der internationale Frauentag am 8. März, der Tag der Arbeit am 1. Mai, der Tag des Sieges über den Faschismus am 9. Mai, der Tag der Jugend am 25. Mai, der Tag des Kämpfers am 7. Juli, der Tag der Republik am 29. November oder der Tag der Jugoslawischen Volksarmee am 22. Dezember.
Der Tag der jugoslawischen Volksarmee und die Erinnerungen an die Ableistung des Wehrdienstes veranlassten 1975 die Mitglieder des Vereins „Jedinstvo“ zum gemeinsamen Kochen der Bohnensuppe, einer unter den Wehrdienstpflichtigen sehr beliebten Speise. Mittlerweile ist Jugoslawien zerfallen, die Volksarmee gibt es nicht mehr, aber die Tradition ist bis zum heutigen Tag geblieben: Die Vereinsmitglieder kochen zu Hause je einen Topf Serbische Bohnensuppe, bringen
sie an einem bestimmten Wochenende im Dezember in den Verein, wo dann von einer Jury die beste Suppe gekürt wird. Dann dürfen die Mitglieder und ihre Gäste alle Suppen verkosten.
Die immer größer werdende Zahl der Vereine und deren Aktivitäten machten die Schaffung einer Dachorganisation notwendig. 1975 schlossen sich alle jugoslawischen Vereine in Wien in der Sport- und Kulturvereinigung jugoslawischer Arbeiter zusammen. Die Hauptaufgabe der Vereinigung war die Koordination der Aktivitäten jugoslawischer Bürger in der österreichischen Hauptstadt, vor allem in den Bereichen Sport, Kultur und Bildung.


Eine gut funktionierende Jugo-Liga war ohne eine ebenfalls gut funktionierende Schiedsrichterorganisation nicht denkbar. Daher wurde 1976 eine Fortbildung für bestehende und angehende Schiedsrichter mit der Möglichkeit der anschließenden Prüfungsablegung angeboten. Die
neugegründete Schiedsrichterorganisation wurde Vollmitglied der Schiedsrichterorganisation Jugoslawiens, was wesentlich zur Verbesserung der Qualität der Wettbewerbe in der Wiener Jugo-
Liga beigetragen hat.
Der wachsenden Nachfrage bei den Mitgliedern nach kulturellen Angeboten folgend, wurden im selben Jahr in den Vereinen diverse Sektionen gegründet, in welchen man sich als Schauspieler,
Rezitator oder Folkloretänzer betätigen konnte.

Die Vorreiterrolle spielten auch in diesem Bereich die Aktivisten des Vereins „Jedinstvo“
1977 wurde zum ersten Mal das Wissensquiz unter dem Titel „Tito-Revolution-Frieden“ für Angehörige der zweiten Generation veranstaltet. Dieses Quiz ist die älteste gesamtösterreichische Veranstaltung damals jugoslawischer und heute serbischer Vereine. Heute findet sie einmal im Jahr unter dem Titel „Wie gut kenne ich Österreich und Serbien“ statt.

 

Mit der Eröffnung des Hauses der Jugoslawen „Branko Radičević“ 1978 im 5. Wiener Bezirk verfügte der Dachverband über eigene Räumlichkeiten, so dass einer Ausweitung der gemeinsamen Aktivitäten des Dachverbandes und der Mitgliedvereine in den Bereichen Sport und Kultur nichts im Wege stand. Die Miete übernahm der Österreichische Gewerkschaftsbund, der gute Beziehungen zum Jugoslawischen Gewerkschaftsbund unterhielt und es war der erste Schritt zum Ausbau einer guten Kommunikation und Zusammenarbeit zu dieser, aber auch zu anderen österreichischen Einrichtungen.
Mit der Zeit fanden nicht nur der Fußball, sondern auch andere Sportarten, wie Kegeln, Tischtennis oder Schach, immer mehr Anhänger. Es gab eine Vielzahl von Bewerben, Meisterschaften und Turnieren
in den Vereinen, aber auch wien- und österreichweit. Für die Schachfreunde war der Besuch des damaligen jugoslawischen Großmeisters Velibor Gligorić 1979 in Wien ein besonderes Ereignis. Neben Gligorić waren auch viele andere Sportler, Künstler, Schauspieler, Unterhaltungssänger und im öffentlichen Leben Tätige aus der Heimat zu Gast in Wien.


Angesichts der stetig wachsenden Zahl unserer Landsleute in Wien, war es notwendig geworden, auf der einen Seite die Vereine und Vereinigungen in ihrer Arbeit, vor allem in den Bereichen Kultur und
Bildung, professionell zu unterstützen, und auf der anderen Seite der österreichischen Öffentlichkeit die jugoslawische Kultur näher zu bringen. Aus diesem Grund wurde 1975 das Kultur- und Informationszentrum
Jugoslawiens in Österreich gegründet. Als eine Art Servicestelle arbeitete das Zentrum sehr eng mit den Vereinen zusammen und war Koordinator und Mitveranstalter diverser Programme und Aktivitäten „vorübergehend in Österreich beschäftigter jugoslawischer Arbeitnehmer“. In diesem
Zusammenhang sei auch auf die Rolle des einstigen Direktorstellevertreters des Zentrums, Herrn Zoran Andјelković hingewiesen.