Archiv 1980-1990

Nach der Weltwirtschaftskrise und Rezession Mitte der 1970er Jahre erholte sich die österreichische Wirtschaft nach und nach, so dass wieder neue Arbeitskräfte gefragt waren.
Es kam zu einer zweiten Migrationswelle, vor allem aus den traditionellen Zuwandererländern, einschließlich Jugoslawiens. Die Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien legten nun einen größeren Wert darauf, dass die ganze Familie vereint in Wien lebte, wodurch auch der Grundstein für einen wahrscheinlicheren und längeren Aufenthalt in der österreichischen Hauptstadt gelegt wurde.


Die immer größer werdende Zahl der Migrantenkinder machte die Einrichtung eines muttersprachlichen Zusatzunterrichtes an den österreichischen Schulen notwendig, und zwar in den Sprachen Serbokroatisch, Mazedonisch, Albanisch, Slowenisch und Ungarisch, jenen Sprachen, also, die damals in Jugoslawien am häufigsten gesprochen wurden. Einer der Gründe für die Einführung
dieses Zusatzunterrichtes war die Überlegung, dass diese Kinder in ihre Heimat wieder zurückkehren würden und dass sie für die Teilnahme am Regelunterricht den Nachweis erbringen würden müssen, den muttersprachlichen Unterricht in Österreich sowie den Unterricht in den
Fächern nationale Geschichte und Landeskunde besucht zu haben. In Wirklichkeit ist die überwiegende Zahl dieser Kinder in Österreich geblieben.


Die Lehrer für diesen muttersprachlichen Unterricht wurden von den zuständigen Schulbehörden in Jugoslawien ausgesucht, während der Stadtschulrat von Wien für die Organisation und die Umsetzung dieses Unterrichtes zuständig war. Die Kosten wurden anfangs von der jugoslawischen und der österreichischen Seite getragen. In den 1980er Jahren arbeiteten an den Wiener Schulen, allein aus den ehemaligen jugoslawischen Republiken, über 50 Lehrerinnen und Lehrer.
Mit dem Zerfall Jugoslawiens übernahm die österreichische Seite diesen Unterricht zur Gänze, und zwar sowohl die Finanzierung, als auch die Lehrerauswahl, wie auch die Festlegung des Unterrichtsplans
und -programms.


So gab es etwa im Jahr 1983 in Wien 11.200 Schüler aus dem ehemaligen Jugoslawien, den muttersprachlichen Unterricht besuchten 7.518 Mädchen und Buben im Pflichtschulalter.
Anlässlich des 5-jährigen Jubiläums des muttersprachlichen Unterrichtes regte die muttersprachliche Zusatzlehrerin Mira Mirić-Rukavina 1980 die Herausgabe einer periodisch erscheinenden Zeitschrift mit Schülerarbeiten unter dem Namen „Kolo mladosti“, zu Deutsch „Der Reigen der Jugend“, an, die bis Anfang der 1990er Jahre erschienen ist.
Eine der sehr engagierten Lehrerinnen jener Zeit war auch Frau Olgica Gerstner-Kapsarev.

 

Anfang der 1980er Jahre wurden drei große gemeinsame österreichweite Veranstaltungen jugoslawischer Arbeitnehmer ins Leben gerufen.
Und so wurde bereits 1979 beschlossen, die Einführung gemeinsamer Veranstaltungen auf Österreichebene, als eine der wichtigsten Innovationen in den Aktivitäten von Vereinen und Verbänden
vorzuschlagen.


Der Vorschlag bestand im wesentlichen aus Folgendem: zwecks Herstellung allseitiger gesellschaftlicher, sportlicher und kultureller Verbindungen zwischen den jugoslawischen Arbeitnehmern
in Österreich, der Stärkung derer Zusammengehörigkeitsgefühls sowie der Förderung der Freundschaft mit der Republik Österreich, sollten drei ständige jährlich stattfindende Veranstaltungen jugoslawischer Arbeitnehmer in Österreich ins Leben gerufen werden, und zwar:

– Arbeitersportspiele (die sehr bald auch den Zusatz „Brüderlichkeit und Einigkeit“ bekommen
haben)
– Wissensquiz („Ich kenne und liebe meine Heimat SFRJ”)
– Folkloreschau (Anlässlich des 1. Mai, des Tags der Jugend – 25. Mai, oder des Tags der Republik – 29. November)

Die Idee war, dass die Veranstaltungen jährlich in jeweils einem anderen Bundesland stattfinden, wobei im Falle der Arbeitersportspiele die jeweilige Gastgeberstadt in Österreich und eine Partnerstadt aus Jugoslawien die Patronanz über die Spiele übernehmen sollten. Diese bundesweiten Veranstaltungen waren als Schlussveranstaltungen gedacht. Zuvor würden in den Bundesländern die Ausscheidungswettbewerbe stattfinden und die Sieger sollten ihre Bundesländer bei den Endveranstaltungen vertreten. Stets wurden auch Sportler und Künstler aus der Heimat zu diesen bundesweiten Veranstaltungen eingeladen.


Dieser Vorschlag einer Initiativgruppe wurde Ende 1979 der Vereinigung jugoslawischer Bürger in Wien vorgelegt. Im Falle dessen Annahme, sollte der Vorschlag an die Koordinationskörperschaft der Verbände jugoslawischer Vereine auf Österreichebene weitergeleitet werden.
Der Wiener Dachverband hat, nach Konsultationen mit dessen Mietgliedvereinen, diesen Vorschlag zur Gänze angenommen und hat sich in der Folge bei den Dachverbänden in den übrigen
Bundesländern für die Umsetzung dieses Vorschlags stark gemacht.

Ende 1979 wurde dieser Vorschlag dann in Linz, auf einer Sitzung aller Dachverbände, endgültig angenommen. Anschließend wurde die Vereinigung jugoslawischer Bürger in Oberösterreich mit der Austragung der 1. Arbeitersportspiele 1980 in Linz betraut. Der Zuspruch war riesig, in insgesamt fünf Sportarten (Fußball, Leichtathletik, Kegeln, Tischtennis und Schach) traten insgesamt 1.700 Arbeiter-Sportleran!

1981 war Innsbruck, beziehungsweise die Vereinigung jugoslawischer Arbeiter in Tirol, Gastgeber dieses Sportfestes. Bei der Gelegenheit wurde auch die Winterolympiade 1984 in Sarajevo beworben. Es folgten Wien, Salzburg und viele andere Städte.
1989 war wieder ein Mal Wien an der Reihe, und zwar als Gastgeber der 10. Arbeitersportspiele.


Ins Rapidstadion in Hütteldorf kamen rund 10.000 Jugoslawen und ihre österreichischen Freunde, um zuerst 1.200 Kinder und Jugendliche bei ihrem Slet, einer Gymnastikübung unter dem Titel „Ich trage euch beide (Heimaten) in meinem Herzen“ und anschließend die Sportler bei ihren Wettbewerben anzufeuern. Die Kinder und Jugendlichen wurden bei ihrem Auftritt von Lehrern des muttersprachlichen Zusatzunterrichtes massiv unterstützt.
Auch die Folkloreschau erfreute sich größter Beliebtheit. 1983 in Linz wurde sie in die „Leistungsschau des kultur-künstlerischen Amateurismus“ umbenannt, zur Folklore kamen weitere Themen, wie bildende und szenische Kunst, Literatur und Musik hinzu.


Die schnell wachsende Zahl von Folklore-, Musik- und anderen Sektionen, hatte die Gründung einer Kultur- und Bildungsgemeinschaft 1982 zur Folge, der erste Obmann war Borislav Kovač. Im Haus der Jugoslawen wurde auch ein Elternbeirat als Koordinationsgremium ins Leben
gerufen. Im selben Jahr nahm auch das Folkloreensemble „Branko Radičević“ seine Arbeit auf, ein Verein, der auch heute zu den aktivsten Vereinen des Dachverbandes für serbische Vereine in
Wien gehört.

Die 1980er Jahre standen unter anderem im Zeichen der 200. Wiederkehr des Geburtstags des großen serbischen Gelehrten Vuk Stefanović Karadžić, der viele Jahre in Wien gelebt und hier seine wichtigsten Werke veröffentlicht hat. In der Rasumofskygasse im 3. Wiener Bezirk wurde ihm zu Ehren, in Anwesenheit der Bürgermeister von Wien und Belgrad, Helmut Zilk und Aleksandar Bakočević, eine Büste enthüllt, während im Wiener Rathaus eine große Ausstellung eröffnet wurde, die seiner Arbeit
und seinem Werk gewidmet war. In zahlreichen Vereinen, mit vielen weiteren Veranstalttungen, mit ORF-Radiosendungen „Für jugoslawische Gastarbeiter in Wien“ wurde das Werk von V. S. Karadžić gewürdigt.
Sein Leben und Schaffen waren auch das Thema eines Wissenquiz unserer Kinder.