Archiv 1990-2000

Das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts stand im Zeichen der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, der Umwälzungen im Kosovo und der Luftschläge der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) ohne UNO-Mandat. Viele
Kriegsflüchtlinge, vor allem aus Bosnien und Herzegowina, kamen nach Österreich, wo die meisten von ihnen auch heute noch leben.
Es kam aber auch zu einer Fluchtwelle aus Serbien. Mehr als 300.000 vorwiegend junge Menschen, die sich mit der Politik der damaligen politischen Führung nicht identifizieren konnten, die mit dem Krieg nichts zu tun haben und der Hoffnungslosigkeit in ihrer Heimat entfliehen wollten, versuchten ihr Glück im Ausland. Ein Teil davon fand ihr Zuhause auch in Österreich.

Waren es in den 1960er und 1970er Jahren vorwiegend angelernte Arbeitskräfte aus ländlichen Regionen, die von der Wirtschaft als Hilfsarbeiter gebraucht wurden, zeichneten sich die Migranten in den
1990er Jahren durch eine viel höhere Schulbildung aus. Sie bemühen sich auch mehr als jene aus der ersten „Gastarbeitergeneration“ darum, ihren Kindern eine gute und fundierte Ausbildung zu ermöglichen.
Mit den politischen Umwälzungen im ehemaligen Jugoslawien gingen auch Umwälzungen in den jugoslawischen Vereinen einher. Ein Teil der Vereine mit ethnisch gemischter Mitgliederstruktur verließ die Sport- und Kulturvereinigung jugoslawischer Arbeitnehmer und hörte vorübergehend mit der Arbeit auf. Vereine mit überwiegend nicht serbischer Mitgliederstruktur verließen den Dachverband und gründeten ihre nationalen Vereinigungen und Sportverbände, was etwa mit den kroatischen oder bosniakischen Vereinen der Fall war. Die serbischen Vereine sind im alten Dachverband verblieben, der 1998 in den „Dachverband jugoslawischer und serbischer Vereine in Wien“ umbenannt wurde, um 2002 den heutigen Namen „Dachverband für serbische Vereine in Wien“ zu bekommen.

Die serbischen Vereine setzten die Tradition der Organisation gemeinsamer österreichweiter Veranstaltungen, wie der Arbeitersportspiele, der Leistungsschau der kulturellen und künstlerischen Aktivitäten und des Wissensquiz, unter Beteiligung aller serbischen Vereine und Vereinigungen aus ganz Österreich, fort.
Der muttersprachliche Unterricht unterschied sich wesentlich von jenem in den 1980er Jahren, die Lehrerinnen und Lehrer wurden vom Wiener Stadtschulrat ausgewählt und waren auch dessen Angestellte. Dieser Unterricht erfolgte nach dem Prinzip des integrativen Unterrichts, was
zur Folge hatte, dass die muttersprachlichen Lehrer nicht mehr jene Rolle im Prozess der Bildung und Erziehung von Kindern aus dem ehemaligen Jugoslawien spielten, wie früher. Zu jenem Zeitpunkt kam auch das Engagement der muttersprachlichen Lehrer in den Vereinen weitgehend zum Stillstand, da sie, als ausschließlich von Österreich bezahlte Lehrer, nicht mehr zur Mitarbeit in den Vereinen verpflichtet waren. Die aktuellen Feiertage wurden in nur wenigen Vereinen gefeiert, da immer weniger Kinder in die Vereine kamen, ließen auch die anderen Aktivitäten nach. Überlebt haben nur die Folklore und der Fußball, nur wenige muttersprachliche Lehrer, die ihren Überzeugungen treu geblieben waren, setzten die Tradition der Feier historischer Daten mit Kindern fort,
die drohten, in Vergessenheit zu geraten. Dabei taten sich besonders die Vereine „Jedinstvo“ und „Branko Radičević“ hervor.

Die sportlichen Aktivitäten blieben, wie erwähnt, praktisch nur auf den Fußball reduziert. Die serbischen Vereine behielten den Namen „Jugoliga“, während gleichzeitig eine kroatische und eine bosnische Liga existierten. 1991 fanden die letzten gemeinsamen Cupwettbewerbe anlässlich des Tags der Jugend (25. Mai) und des Tag der Republik (29. November) statt.
Unter den zahlreichen Sportveranstaltungen war das „Politika-Querfeldeinlauf“ besonders beliebt. Zum ersten Mal fand dieses Rennen 1983 mit 350 Athleten, vorwiegend Kindern und Jugendlichen, statt. Diese schöne Tradition dauerte bis 1995 an. In acht Kategorien traten stets
zwischen 400 und 500 Teilnehmer beiderlei Geschlechtes an, die Sieger durften dann jeweils im Oktober am traditionellen „Politika-Querfeldeinlauf“ in Belgrad teilnehmen. Bei der Organisation
und Popularisierung dieser Veranstaltung hat sich besonders Herr Slobodan Jovanović verdient gemacht.

Die Geschehnisse in der Heimat ließen niemanden gleichgültig. Statt Feste zu organisieren, wurden Hilfsaktionen gestartet, statt der Freude herrschte Ungewissheit, es gab immer weniger Grund zum Lachen und Fröhlichsein. Die Hilfsaktionen hatten Vorrang gegenüber den anderen
Aktivitäten. Das war auch der Grund, warum 1993 ein neuer Verein ins Leben gerufen wurde – der serbisch-österreichische Kultur- und Hilfsverein Humanitas. Insgesamt wurden 747 Transporte im Wert von 310 Millionen Schilling abgefertigt. Zusammen mit der serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde zum Heiligen Sava in Wien und der Wiener Caritas wurde die Armenausspeisung in Belgrad und Kragujevac, aber auch in Niš, Šabac und Kraljevo mitfinanziert. Ebenfalls wurden während der NATO-Aggression Hilfsgüter gesammelt und in die am meisten betroffenen Regionen der Heimat transportiert. Gute Ergebnisse wurden auch in den Bereichen von Kultur und Kunst, Information, Bildung und Erziehung erzielt.
Im Jahre 1995 wurde das Serbische Zentrum gegründet, ein Verein serbischer Kulturschaffender, Intellektueller und Wirtschaftstreibender in Österreich, der, neben Humanitas, eine Reihe von kulturellen und künstlerischen Programmen angeboten hat. Dieser Verein war es auch, der die Tradition der Serbenbälle in Wien wieder hat aufleben lassen. Seither ist bei diesen Bällen ein fixer Programmpunkt die „Serbische Quadrille“, die Johann Strauß Sohn 1846 über Auftrag des damaligen serbischen Fürsten Miloš Obrenović gerade für einen Serbenball in Wien komponiert hat. In diesem Zusammenhang sind die Leistungen des langjährigen Obmanns des Serbischen Zentrums, Herrn Milorad Mateović, hervorzuheben.
Trotz der intensiven Zusammenarbeit mit den städtischen Kultureinrichtungen, dem Wiener Integrationsfonds und anderen Organisationen, die sich mit dem Thema Zuwanderung und
Integration beschäftigt haben, wurden unsere Vereine, und im besonderen der Dachverband, von den Sparmaßnahmen hart getroffen. Die Unterstützung für unsere Aktivitäten ließ nach, was auch eine Kürzung von Programmen und Projekten zur Folge hatte. Der Dachverband beschränkte sich auf die Organisation von traditionellen Veranstaltungen, was nur mit großer Mühe und dem unermüdlichen
Engagement von Aktivisten gelang.

Jahr 1998 wurde der Kulturverein „Stevan Mokranjac“ gegründet, der sich in punkto Aktivitäten und Qualität von Jahr zu Jahr soweit steigerte, dass er heute zu den besten serbischen Vereinen nicht nur in Wien, sondern auch in ganz Österreich gehört. Einer der ältesten Vereine „Požarevac“ schloss sich mit dem Verein „Bambi“ zusammen und so entstand der neue Verein „Region Bambi- Požarevac“.
Die erste Hälfte des Jahres 1999 stand im Zeichen der Demonstrationen in Wien gegen die NATO-Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro). Bereits am 24. März, nur einen Tag nach dem Beginn der Bombardements, versammelten sich auf dem Stephansplatz, im Herzen Wiens, mehrere Tausend Menschen, um ihren Protest gegen den barbarischen Akt zu bekunden, bei dem auch Kindergärten, Schulen, zivile Fabriken, Brücken und Spitäler für
Kriegsziele erklärt wurden. Der Dachverband jugoslawischer und serbischer Vereine in Wien, das Serbische Zentrum und der Verein Humanitas sowie mehrere österreichische NGOs organisierten
regelmäßige, tägliche Protestversammlungen in der Innenstadt, um würdevoll, mit Ikonen und Kerzen in der Hand, mit Fahnen und Transparenten, die zum Frieden, zum Gewissen und Bewusstsein
aufriefen, ein Ende der Luftschläge zu verlangen. Tagaus, tagein, 78 Tage lang.
Aber das Ende der Bombardements bedeutete nicht auch ein Ende der Aktivitäten unserer Bürger, die auch in den Jahren nach diesen Luftangriffen zahlreiche Podiumsdiskussionen, mediale Auftritte, Tribunale und Infoprogramme organisiert haben, um auf den schändlichen Charakter dieses Aktes und auf die äußerst negativen Folgen für die ganze Region aufmerksam zu machen.